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ÜberZahl – Die Zahlenkolumne: Darum wurden die Füchse Berlin Meister

Es ist vollbracht: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte krönen sich die Füchse Berlin zum Deutschen Meister. Was hinter diesem historischen Triumph steckt? Ein Blick in die Zahlen verrät Erstaunliches – und genau den liefert Datenanalyst Julian Rux in dieser Ausgabe von „ÜberZahl“.
Denn eines stach in dieser Saison besonders hervor: die Offensivwucht der Hauptstädter. 1197 Tore insgesamt, im Schnitt 35,1 pro Spiel – das ist nicht nur Liga-Bestwert, sondern auch eine echte Ansage. Zum Vergleich: Die SG Flensburg-Handewitt, in diesem Ranking auf Platz zwei, kam auf 1,9 Treffer weniger pro Partie.
Damit haben die Füchse Historisches geleistet. Ihr Torschnitt ist der höchste seit 16 Jahren – und der vierthöchste in der Geschichte der Liga. Nur der THW Kiel war 2006/07 (36,4), 2008/09 (36,1) und 2005/06 (35,8 Tore pro Spiel) noch einen Tick torhungriger.

Klar, der Vergleich mit früheren Topwerten ist reizvoll – aber man sollte ihn nicht überbewerten. Denn: Auf dem Höhepunkt der schnellen Mitte war das Spiel noch etwas schneller, was zu mehr Angriffen und damit auch Abschlussmöglichkeiten führte.
Und trotzdem: Auch die Füchse Berlin stehen wie kaum ein anderes Team für temporeichen Handball. Mit 55,9 Ballbesitzen pro Partie lagen sie nur knapp hinter der SG Flensburg-Handewitt (56,6) – ebenfalls ein echter Tempomacher. Und auch bei der Angriffsdauer waren die Berliner vorne dabei: Mit 29,0 Sekunden pro Angriff spielten nur die Flensburger (27,7) noch schneller.
Wer fair vergleichen will, rechnet deshalb lieber mit standardisierten Werten – also zum Beispiel mit der Anzahl an Toren pro 50 Ballbesitze. Das ist unter Datenanalyst:innen längst die bevorzugte Methode, weil sie Spieltempo und Ballbesitz ausgleicht. Und: In einem Spiel haben beide Teams ohnehin fast gleich viele Ballbesitze (plus/minus einen).
Und siehe da: Auch bei dieser Messlatte stehen die Füchse ganz oben. 31,5 Tore pro 50 Ballbesitze – das ist der Topwert der Saison. Nur ein einziges Team war in den letzten fünf Jahren noch effizienter: der SC Magdeburg 2022/23 mit 31,8 Toren.
Wenn man tiefer in die Zahlen eintaucht, zeigt sich: Nur in einem Bereich hatten die Berliner Nachholbedarf – bei den zweiten Chancen. Nur 12,9 Prozent ihrer eigenen Fehlwürfe konnten sie sich wieder zurückholen, das war der schwächste Wert aller Teams. Doch dieser kleine Makel fiel kaum ins Gewicht. Denn dafür leistete sich die Siewert-Truppe ligaweit die wenigsten Ballverluste – nur 7,3 pro 50 Ballbesitze.
Extrem effizient im Abschluss
Besonders stach bei den Füchsen offensiv jedoch - wie bei den Magdeburgern in der vergangenen Saison - die Wurfquote heraus. Denn erst zum zweiten Mal überhaupt schaffte es eine Mannschaft die 70-Prozent-Hürde zu überspringen. 71,2 Prozent ihrer Würfe verwandelten die Berliner diese Saison. In den 59 Spielzeiten der stärksten Liga der Welt war dies sonst lediglich vor einem Jahr dem SC Magdeburg mit 71,6 Prozent gelungen.
Zum Vergleich: Auch der SCM war in dieser Saison wieder stark unterwegs – mit 31,0 Toren pro 50 Ballbesitze und einer Wurfquote von 68,6 Prozent. Doch was die Füchse abhob, war ihre Überperformance. Beide Teams erspielten sich gleich hochwertige Würfe (jeweils eine erwartete Trefferquote von 65,6 % – Ligaspitze), aber: Die Berliner trafen im Schnitt 8,5 Prozent mehr als erwartet – mit Abstand der Topwert der Liga. Magdeburg lag bei +4,6 Prozent – Platz vier.
Unterschiedsspieler Mathias Gidsel
An dieser Stelle muss natürlich auch wieder Mathias Gidsel erwähnt werden, der eine absolut herausragende Saison gespielt hat. Mit 8,5 Feldtoren pro Spiel war er der mit Abstand beste Feldtorschütze der Liga. Der zweitplatzierte Marko Grgic lag ganze zwei Tore pro Spiel hinter ihm – das ist eine kleine Welt.
Und wie man es von Gidsel kennt, stimmt bei ihm nicht nur die Menge, sondern auch die Qualität: 76,1 Prozent Trefferquote aus dem Feld – unter allen Spielern mit mindestens 200 Würfen kam da niemand auch nur annähernd ran. Und als wäre das nicht genug, hat er seine Quote im Vergleich zu den Vorjahren sogar noch einmal um vier Prozentpunkte gesteigert.
Nur ein einziger Spieler war noch effizienter – und das als Kreisläufer: Justus Fischer, der mit 79,2 Prozent aus dem Feld traf. Aber selbst im Vergleich mit anderen Kreis- und Außenspielern kann Gidsel mithalten: Von den sieben Spielern mit ähnlich vielen Würfen liegt nur Fischer vor ihm – der Rest dahinter.

Wie außergewöhnlich Mathias Gidsel wirklich ist, zeigen zwei zentrale Metriken besonders eindrucksvoll. Erstens: Kein Rückraumspieler mit über 100 Würfen kommt auf bessere Wurfchancen – bis auf zwei. Gidsel liegt in puncto Wurfqualität ligaweit auf Rang drei. Er spielt sich also konstant hochprozentige Abschlüsse heraus – das ist pure Klasse im Entscheidungsverhalten.
Zweitens: Er macht aus diesen Würfen auch noch deutlich mehr, als zu erwarten wäre. 15,6 Prozent über Erwartung – das ist Platz acht im Ligavergleich. Besonders beeindruckend: Kein anderer Spieler landet in beiden Statistiken gleichzeitig in den Top 8. Mit einer Ausnahme: Fabian Wiede. Der Routinier und kongeniale Partner im Berliner Rückraum bringt es auf eine Wurfqualität von 62,2 Prozent und liegt sogar 20,5 Prozent über Erwartung – eine stille, aber überragende Saisonleistung.
Doch Gidsel liefert nicht nur in der Wurfstatistik ab. Auch in anderen Bereichen ist er absolute Spitze: Er holt die meisten Steals der Liga (0,7 pro Spiel), zieht die meisten Siebenmeter (2,2 pro Spiel) – und trägt wie kein Zweiter die offensive Verantwortung. 25,9 Prozent aller Feldwürfe, gezogenen Siebenmeter und Ballverluste der Füchse gehen auf sein Konto. Mehr Einfluss auf ein Spiel geht kaum.
Verbesserungspotentiale in der Defensive
Auch defensiv waren die Füchse gut, wenn auch nicht ganz so herausragend wie im Angriff. 26,0 Gegentore pro 50 Ballbesitze bedeuten die drittbeste Verteidigung der Saison.

Dabei ließen sie die viertwenigsten zweiten Chancen zu (nach 15,5 Prozent aller gegnerischen Fehlwürfe), verursachten die zweitwenigsten Siebenmeter mit 2,9 pro 50 Ballbesitze und erzwangen viertmeisten gegnerischen Ballverluste mit 9,5 pro 50 Ballbesitze. Letztere waren auch essenziell für ihren schnellen Spielstil. Nur 18,7 Sekunden brauchten die Berliner für Abschlüsse nach einem gegnerischen Ballverlust, so wenig wie kein anderes Team. Mit 34,4 Toren pro 50 Ballbesitzen waren sie dabei auch das effizienteste Team der Liga.
Bei der gegnerischen Wurfquote (60,2 %) und der gegnerischen Feldwurfquote (59,7 %) rangieren die Berliner jeweils auf Platz fünf. Auch die Paradenquote ihrer Keeper liegt mit 30,0 Prozent auf demselben Rang. Schaut man nur auf die Feldparaden, geht es sogar leicht nach unten: 30,4 Prozent bedeuten Platz sieben.
Besonders aufschlussreich wird es aber bei der angepassten Paradenquote, die die Schwierigkeit der Würfe berücksichtigt. Hier schneiden die Berliner Torhüter mit nur 28,5 Prozent ab – Rang acht. Das legt nahe: Die Abwehr stellt die Gegner oft vor schwierige Aufgaben, doch im Tor bleibt noch deutliches Entwicklungspotenzial.
Ein solches Kräfteverhältnis – überragende Offensive, ordentliche, aber nicht überragende Torwartleistungen – erinnert nicht zufällig an den SC Magdeburg vor drei Jahren, bei dessen erstem Titel unter Bennet Wiegert. Auch damals war das Tor keine Schwäche, aber eben auch kein Titelgarant.
Fazit: Wenn die Füchse dieses Niveau halten – und vielleicht sogar noch im Tor zulegen – gibt es wenige Gründe, die dagegen sprechen, dass die Berliner ähnlich erfolgreich werden, wie es dem SCM in den vergangenen Jahren gelungen ist.
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