HBL
DHB-Präsidiumsmitglied Jennifer Kettemann: „Die Handball-WM der Frauen trifft den aktuellen Zeitgeist, der den Fokus verstärkt auf die Entwicklung des Frauensports legt“

Fotos: Krause
Jennifer Kettemann äußert sich im Interview zu ihren Aufgaben und zu den Akzenten, die sie als neu gewähltes DHB-Präsidiumsmitglied setzen will. Dabei spielt die Entwicklung des Frauenhandballs ebenso eine Rolle wie die gesellschaftliche Bedeutung des Sports in Deutschland generell, die aus Sicht von Kettemann auch durch ein glaubwürdiges Konzept einer deutschen Olympiabewerbung gestärkt würde.
Kettemann wurde vor Kurzem beim 34. DHB-Bundestag in Dresden in das höchste Gremium im deutschen Handball gewählt, nachdem sie durch die Ligaverbände Handball-Bundesliga der Männer (HBL) und Handball-Bundesliga der Frauen (HBF) vorgeschlagen worden war. Von 2021 bis 2025 war Kettemann Mitglied im Präsidium der Handball-Bundesliga e. V. Dort brachte sie sich insbesondere in den Bereichen Strategie und wirtschaftliche Entwicklung ein, u. a. leitete sie die AG Digitalisierung der HBL. Jennifer Kettemann war über acht Jahre lang Geschäftsführerin der Rhein-Neckar Löwen. In dieser Zeit gewannen die Rhein-Neckar Löwen u. a. zweimal die Deutsche Meisterschaft. Kettemann war davor beruflich in leitender Position bei SAP SE tätig. Ab Dezember dieses Jahres kehrt sie in den global tätigen deutschen Softwarekonzern mit Sitz in Walldorf zurück.
Sie sind für die vier kommenden Jahre Mitglied im DHB-Präsidium. Welche Schwerpunktthemen setzen Sie in diesem Zeitraum? Welche Prioritäten haben Sie?
Kettemann: Auch wenn wir im Präsidium nicht in festen Ressorts organisiert sind, bringt jedes Mitglied eigene Expertise und Schwerpunkte ein. Eines meiner Schwerpunktthemen im DHB-Präsidium wird sicher auch das Thema Digitalisierung sein. Daneben möchte ich mich mehr in der Stärkung des Frauenhandballs einbringen. Aufgrund meiner Ligaerfahrung will ich zudem eine noch engere Verzahnung zwischen Verband und Profiligen vorantreiben, um den Handball insgesamt nach innen und außen zu stärken.

Kettemann (ganz rechts) nach der Wahl ins DHB-Präsidium, Foto: Kenny Beele/DHB
Gibt es konkrete Projekte?
Kettemann: Ja, mit Handball 360 haben die Kolleg*innen beim Bundestag einen entscheidenden Entwicklungsschritt im Bereich der Digitalisierung getan. Dieses für den DHB, seine Landesverbände und die Ligen unterhalb der Profiligen wegweisende Projekt wird erstmals ein über alle Ebenen hinweg einheitliches Verbandsmanagementsystem schaffen. Dieser Weg ist essenziell, um effizienter zu arbeiten, Entscheidungen datenbasiert zu treffen, das Ehrenamt zu entlasten und den Handball strukturell moderner aufzustellen. Digitalisierung sehe ich nicht nur als Verwaltungsthema, sondern als Chance für neue Vermarktungswege, optimiertes Sponsoring und zielgruppengerechte Kommunikation.
Wie stellen Sie sich Ihr Engagement für den Frauenhandball konkret vor?
Kettemann: Ich wünsche mir, dass wir den Frauenhandball nachhaltig stärken. Entwicklungen der vergangenen Monate – mehr öffentliche Wahrnehmung, professionellere Strukturen, klare Verantwortlichkeiten – zeigen, dass hier Potenzial ist – und dabei muss ich nicht einmal auf den sich sehr gut entwickelnden Frauenfußball schauen. Unsere WM 2025 im eigenen Land ist dafür mit der Bewegung „Hands up for more“ ein zentraler Hebel. Dabei hilft uns, dass der aktuelle Zeitgeist den Fokus verstärkt auf die Entwicklung des Frauensports legt. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass Frauen- und Männerbundesligen noch enger zusammenarbeiten können. Der Handball Super Cup, bei dem HBL und HBF gemeinsam im SAP Garden München in die Saison starten, zeigt sehr deutlich, dass ein gemeinsames Event die Strahlkraft für beide Wettbewerbe spürbar erhöht. Und für die HBL ist das bei Weitem keine Einbahnstraße, denn die HBF macht den Super Cup attraktiver und gesellschaftlich relevanter. Aktuelle Marktforschung weiß, dass über ein Drittel der gut 27 Millionen Handball-Interessierten weiblich ist, das ist mehr als in jeder anderen Ballsportart in Deutschland.
Sie sind als Vertreterin der Ligaverbände HBF und HBL in das DHB-Präsidium gewählt worden. Wie definieren Sie Ihre Rolle? Und welche Potenziale sehen Sie zwischen Ligaverbänden und dem DHB?
Kettemann: Der Handball ist dann am stärksten, wenn Verband und Ligen strategisch an einem Strang ziehen. Das haben meine Kollegen in der Legislaturperiode zuvor bereits sehr gut umgesetzt, hier gilt es anzuknüpfen. Ich betrachte mich als eines der Bindeglieder zwischen den Clubs, der HBL, der HBF und dem DHB. Im Männerhandball bin ich bereits gut vernetzt und kenne die Herausforderungen der Clubs. Beim Frauenhandball vertiefe ich gerade mein Wissen, um an den relevanten Stellen bei Bedarf unterstützen zu können. Wichtig ist mir auch, dass wir die Kräfte bündeln: Die Männerligen im Profi- und Amateurbereich können die Frauen in der aktuellen Entwicklungsphase unterstützen, denn Wachstum im Frauenhandball stärkt letztlich den gesamten Handballsport. Strategische Themen könnten gemeinsam angegangen und umgesetzt werden.
Deutschland und die Niederlande sind Gastgeber der Handball-Weltmeisterschaften der Frauen 2025. Welche Erwartungen haben Sie bezüglich dieser Heim-WM?
Kettemann: Wir spüren eine positive Dynamik im Frauenhandball: mehr Berichterstattung, mehr Professionalität. Diese Entwicklung müssen wir konsequent fortführen. Ich erhoffe mir eine Frauen-WM, die sportlich begeistert und vor allem nachhaltig wirkt, indem sie den Spielerinnen die Sichtbarkeit und Wertschätzung gibt, die sie verdienen. Um das zu erreichen, müssen alle Räder im Getriebe des deutschen Handballs ineinandergreifen, insbesondere auf die HBF kommt viel Arbeit zu. Die aktuelle Mitgliederentwicklung im DHB ist ein Steilpass, besonders in der jungen Zielgruppe der Handballspielenden ist der Anteil der Mädchen hoch.

Foto: Krause
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen des deutschen Handballs in den kommenden Jahren? Wie gelingt es dem Handball, sich weiterhin als Ballsportart Nummer 1 hinter Fußball zu behaupten?
Kettemann: Der traditionelle Sport steht vor mehreren Herausforderungen. Die Aufmerksamkeitsspanne junger Menschen wird kürzer, und Plattformen wie TikTok prägen die Wahrnehmung stärker als klassische Medien. Da hat sich der Handball in den Ligen und auch über die Nationalmannschaften gut entwickelt, aber wir müssen noch mehr Inhalte schaffen, die auch „nebenbei“ konsumierbar sind, damit wir für Jugendliche im digitalen Alltag sichtbar bleiben. Zugleich denken wir weiter linear, weil wir wissen, dass ein wichtiger Teil unserer Zielgruppe Handball linear konsumiert. Auch hier sagt uns aktuelle Marktforschung, dass der Anteil der 16- bis 24-Jährigen in unserer Zielgruppe beachtlich gewachsen ist. Weiterhin sollte der Handball über eine alternative Spielform nachdenken. Der Basketball hat es mit 3x3 vorgemacht und interaktive Fußballformate begeistern insbesondere jüngere Menschen. Ein unterschätztes Feld ist das Thema Daten. Ob im sportlichen Bereich, im Marketing oder im Sponsoring: Wir analysieren und nutzen Daten bisher noch nicht konsequent genug. Hier liegt ein Wachstumspotenzial im sportlichen und auch im wirtschaftlichen Umfeld in den Bereichen B2C und B2B.
Im Rahmen eines Grußwortes beim DHB-Bundestag hat DOSB-Vorstand Michaela Röhrbein auch eine deutsche Olympiabewerbung aufgegriffen. Wie stehen Sie dazu?
Kettemann: Wir sollten den Mut haben, Ja zu Olympia in Deutschland zu sagen. Weil ich darin eine große Chance sehe, unterstütze ich, dass München, Berlin, Hamburg und die Rhein-Ruhr-Region Bewerbungskonzepte beim DOSB vorgelegt haben. Für den Spitzen- und Breitensport eröffnen sich langfristige Perspektiven. Dringende Investitionen in die Sportinfrastruktur werden vorangetrieben und die Sportbegeisterung der Menschen führt zu einem noch stärkeren Engagement in den Vereinen. Bei meinem Besuch der Spiele in Paris 2024 habe ich erlebt, dass Olympia weit mehr ist als sportlicher Wettbewerb. Mein ältester Sohn hat mich begleitet und dort eine neue Stadt, eine andere Kultur und eine besondere Gemeinschaft erlebt. Momente, wie sie der Sport bietet, schaffen internationalen und interkulturellen Zusammenhalt, Offenheit und Begeisterung – Dinge, die wir gerade heute und in den kommenden Jahren sehr gut gebrauchen können.
Welches sind die wichtigsten Aufgaben des Handballsports in der Gesellschaft?
Kettemann: Handball hat eine Verantwortung, die weit über das Spielfeld hinausgeht. In einer Zeit, in der sich viele Menschen von Politik und Institutionen abwenden, ist der Sport einer der wenigen Orte, an dem echte Verbindung entsteht. In der Halle begegnen sich Menschen unterschiedlichster Herkunft, Altersgruppen und Lebensrealitäten auf Augenhöhe. Vereine geben Halt, Struktur und Zugehörigkeit – vom ersten Kindertraining bis in den Spitzensport. Handball steht für Werte wie Teamgeist, Respekt, Fairness und Verantwortung. Unsere Spielerinnen und Spieler leben diese Tugenden sichtbar vor - durch sportlichen Ehrgeiz, Leistung, respektvollen Umgang miteinander und Fairplay. Das sind Vorbilder, die gerade für Kinder und Jugendliche von unschätzbarem Wert sind.













