HBL
Er will doch nur spielen: NEVER STOP mit dem Spanier Erik Balenciaga von der MT Melsungen

Fotos: TVB Stuttgart, Heilwagen, Käsler
Die nächste Folge der Dokumentation „NEVER STOP – VOM ERSTEN WURF BIS ZUR WELTSPITZE“ widmet sich der „Spielmaus“ des Tabellenführers der DAIKIN HBL. Mitspieler, MT-Trainer Roberto Parrondo und Geschäftsführer Michael Allendorf sprechen über den Spanier, zeichnen den Weg des Spielmachers vom Golf von Biskaya nach Nordhessen nach. Und „NEVER STOP“ zeigt ganz klar: auch in der stärksten Handball-Liga der Welt ist Größe nicht alles.
„Normalerweise geben die Trainer den großen oder starken Jungs mehr Chancen, deswegen war es für mich anfangs nicht einfach“, sagt Erik Balenciaga: „Alle wollten, dass ich auf Linksaußen spiele und das habe ich dann auch ein paar Mal gemacht. Aber das war nicht das, was ich wirklich wollte. Ich wollte auf der Mitte spielen. Also habe ich es immer weiter versucht und bewiesen, dass ich das kann.“
Eriks Schwestern (37 und 27 Jahre alt) spielen ebenfalls Handball. Das Verhältnis der Geschwister ist sehr eng. „Es ist wirklich schön sie zu haben. Sie verstehen mein Leben und wir sprechen sehr viel über Handball. Sie kritisieren mich nie, sondern unterstützen mich und kommen, so oft es geht, hierher“, erzählt der Melsunger Spielmacher, der zu einem Idol im Verein von Zarautz geworden ist. In 35 Mannschaften eifern die Jungs und Mädels in der baskischen Kleinstadt ihrem Idol nach: „Immer, wenn ich nach Hause komme, spüre ich die Unterstützung der Leute“, sagt Balenciaga, der seine Heimatstadt als 22-Jähriger verlassen hatte und dem Zweitligisten Teucro zum Aufstieg in die erste spanische Liga verhalf. Von da aus ging es nach Anaitasuna und Logrono, wo er erstmals auch im Europapokal auflief.

2021 folgte der erste Wechsel ins Ausland, zu Fenix Toulouse nach Frankreich. „Ich wollte immer so hoch wie möglich spielen. Als ich in Frankreich war, habe ich gedacht, dass die französische Liga die zweitbeste Liga der Welt ist und meiner Meinung nach ist die deutsche Liga die stärkste Liga der Welt. Also habe ich gesagt, ich muss dort spielen. Ich muss einmal dort gespielt haben und dann habe ich es geschafft und ich bin so froh darüber.“
Der Hauptgrund, das Abenteuer DAIKIN HBL anzugehen, war sein spanischer Landsmann, Melsungens Trainer Roberto Garcia Parrondo. „Die meisten Handball-Fans kannten Erik nicht, aber ich wusste, dass er in Spanien und Toulouse sehr gut gespielt hat“, dass war für den Champions-League-Sieger als Spieler (2008, 2009) und Trainer (2019) der Grund, bei Balenciaga anzuklopfen. Und der war gleich Feuer und Flamme: „Ich habe nicht länger als fünf Sekunden gebraucht, um darüber nachzudenken, als Roberto mich angerufen hat.“
Einziges Problem: wie sage ich es meiner Freundin? Ane Iribar ist Balenciagas Sandkastenliebe – und eigentlich wollte sie nie weg aus der spanischen Heimat. „Es ist mir so wichtig, sie an meiner Seite zu haben. Sie unterstützt mich, sie kümmert sich um mich und sie versteht, dass ich als Profi-Spieler am Wochenende oft nicht da bin oder dass ich manchmal müde bin, weil ich so viele Spiele habe und dann einfach nichts machen möchte. Sie ist einfach eine große Hilfe“, sagt Balenciaga.
Also flogen beide an einem kalten Wintertag nach Kassel, es lag Schnee, es war minus fünf Grad. „Wir hatten beide ein bisschen Angst und waren nervös. Es war das erste Mal für uns, dass wir länger unterwegs waren. Und in Kassel angekommen, haben wir uns gedacht: Oh mein Gott, was machen wir hier?“, blickt der Spielmacher zurück. Aber der Funke sprang schnell über, erinnert sich auch MT-Sportvorstand Michael Allendorf: „Erik wollte unbedingt in die Bundesliga, er wollte unbedingt zu uns. Und dann haben wir ihn relativ frühzeitig unter Vertrag genommen.“ Nach einer gewissen Bedenkzeit konnte sich auch Ane Iribar mit dem Gedanken anfreunden, ihren Partner nach Nordhessen zu begleiten: „Am Anfang habe ich ihm gesagt, dass ich auf keinen Fall mit ihm umziehe, egal wohin. Keine Chance! Vor allem, weil wir das Leben, das wir in unserer Heimat hatten, sehr lieben. Aber am Ende habe ich mich doch umentschieden.“

Im Sommer 2023 war Erik Balenciaga einer von drei internationalen Neuzugängen der MT, gemeinsam mit Dainis Kristopans und dem ungarischen Abwehrspezialisten Adrian Sipos. Am Ende der Saison standen der Einzug ins Pokalfinale und die Qualifikation für die European League. „Die drei haben einen neuen Geist in die MT gebracht - sportliche Qualität, aber auch Mentales. Sie haben ihre Mitspieler ein Stück weit besser gemacht. Ich glaube, das war der Startschuss zu einer neuen MT, auch sportlich“, sagt Allendorf.
Vor allem Balenciaga und Kristopans brachten die MT-Offensive nach vorne, trotz eines Größenunterschieds von fast 50 Zentimetern. „Wenn wir zusammen im Hotel einchecken, spazieren gehen oder einen Kaffee trinken und die Leute diesen richtig großen und diesen richtig kleinen Typ zusammen sehen, schauen sie uns irgendwie irritiert an“, sagt Balenciaga. „Erik war einer der Gründe, warum ich nach Melsungen gekommen bin. Ich habe in Mazedonien und in Paris viele gute Erfahrungen mit Spielmachern wie ihm gemacht. Und als ich wusste, dass er hierher kommt und dass Roberto hier ist, habe ich gedacht, dass es wirklich gut werden kann. Erik ist ein wirklich umgänglicher, hilfsbereiter und sehr guter Mensch“, sagt Dainis Kristopans.
Genau wie früher Ljubomir Vranjes oder aktuell der Niederländer Luc Steins bei PSG verkörpert „die spanische Spielmaus“ den quirligen Typus eines Spielmachers, der trickreich durch die Abwehrreihen tänzelt oder mit Spielwitz Räume für die anderen Rückraumspieler schafft. „Erik ist das Hirn im Angriff“, lobt Allendorf, dem pflichtet Trainer Parrondo absolut bei: „Erik ist ein sehr schneller Spieler. Er ist sehr intelligent, er sieht, was passiert wird und trifft dann die richtigen Entscheidungen.“
Auch diese Entscheidungen sorgen für den aktuellen Melsunger Höhenflug: in der DAIKIN Handball-Bundesliga führen die Nordhessen mit 28:4 Punkten die Tabelle an, vor dem Start der Rückrunde am kommenden Wochenende steht Erik Balenciaga bei 45 Toren und 52 Assists.

Zudem haben sich die Melsunger zum zweiten Mal in Folge für das LIDL Final4 in Köln qualifiziert, wo Zweitligist HBW Balingen-Weilstetten der Halbfinalgegner ist. „Köln ist etwas ganz Besonderes. Ich habe das Champions League-Final4 einmal als Zuschauer verfolgt, aber als ich letztes Jahr das DHB-Pokalfinale gespielt habe, habe ich gemerkt, dass die Atmosphäre einfach unfassbar ist. Ganz Handball-Deutschland ist da. Daher bin ich wirklich froh, dass wir erneut die Möglichkeit haben, dabei zu sein. Wir haben letztes Jahr gesagt, dass wir alles genießen müssen, weil es vielleicht nie wieder die Chance geben wird, dort zu sein. Und jetzt sind wir wieder da. Jeder, der Handball spielt, sollte das einmal im Leben erlebt haben.“
In Spanien und Frankreich hat Balenciaga noch keinen Titel gewonnen, das will er nun in Deutschland ändern – mit den Erfahrungen, die ihm nun zugutekommen: „Ich glaube, wir haben alle die gleichen Ziele und wollen erfolgreich sein. Wir sitzen alle im selben Boot, deshalb bin ich einfach glücklich hier. Die Stimmung im Verein und in der Halle ist super, die Menschen hier behandeln mich wirklich seit dem ersten Tag sehr gut und sehr respektvoll. Und mir gefällt es sehr, dass die MT Melsungen sich entwickeln will.“
Generell will er auch Vorbild sein für andere eher kleine Handballer: „In den letzten Jahren haben viele Clubs kleineren Spielern im Rückraum mehr Chancen und Spielanteile gegeben. Sie haben verstanden, dass wir genauso gut spielen können. Ich hoffe, dass alle Kinder, die auf der Mitte oder auf den Halbpositionen spielen wollen, aber nicht so groß sind, trotzdem die Chance bekommen, es zu schaffen.“
Aber eigentlich will Balenciaga doch nur spielen, wie er bei NEVER STOP sagt: „Letztendlich kann ich mir mein Leben ohne Handball nicht vorstellen.“