HBL
Never Stop mit Silvio Heinevetter: "In der Kabine sind alle gleich"

Foto: Mhoch4
Selten hat eine Bratwurst im Handball so viel Jubel ausgelöst. Eine Thüringer Wurst mit Thüringer Senf im Brötchen, ein Grinsen im Gesicht – und der berühmte Satz: „So schmeckt Heimat.“ So verkündete Silvio Heinevetter vor genau einem Jahr seine Rückkehr nach Thüringen. Folge 7 der Doku-Serie „NEVER STOP - Vom ersten Wurf bis zur Weltspitze“ führt zum Torhüter des ThSV Eisenach.
Nach 19 Jahren war der Weltklassetorwart wieder zurück, seit Saisonbeginn steht der mittlerweile 40-Jährige im Kasten des ThSV Eisenach, des selbsternannten Kultvereins im Osten. Von Bad Langensalza zum Zweitligisten Delitzsch, wo er den Sprung in die DHB-Nachwuchsmannschaften schaffte, dann zum großen SC Magdeburg, von dort für elf Jahre zu den Füchsen nach Berlin. Dann je zwei Jahre bei der MT Melsungen und dem TVB Stuttgart – und jetzt also heißt es „Bratwurst statt Maultaschen“.
Welche Bedeutung das Land Thüringen und die Stadt Eisenach für den 206-fachen deutschen Nationaltorwart haben, der am Montag sein 639. Bundesligaspiel bestritt, und warum es ihn trotz lockender Angebote beruflich nie ins Ausland zog, verrät Silvio Heinevetter in der aktuellen Folge von „NEVER STOP – Vom ersten Wurf bis zur Weltspitze“.
Die Doku-Serie der Handball-Bundesliga GmbH zeichnet anhand von Interviews, Kinder- und Jugendfotos sowie mit teilweise bisher unveröffentlichtem Filmmaterial Karrierewege von Handballprofis nach, denen es gelungen ist, aus einem Kindheitstraum und einer Leidenschaft von Kindesbeinen an, einen handfesten Beruf zu machen.
Und dieser Traum begann für Silvio Heinevetter just in der Kultstätte des Thüringer Handballs, der Werner-Aßmann-Halle in Eisenach. „Für mich schließt sich ein Kreis. Als kleiner Junge war ich mit meinen Eltern zu den Spielen des ThSV in genau dieser Halle, jetzt darf ich mich endlich in der Heimkabine umziehen“, begründete Heinevetter im berühmten „Bratwurst-Video“ seine Rückkehr.
In Folge 7 von NEVER STOP erläutert Heinevetter seine Vorstellung von Heimat so: „Heimat ist jetzt kein Ort, sondern eher ein Gefühl. Ich habe in meiner Karriere viel gesehen, aber das ist für mich jetzt eine runde Sache, am Ende noch mal in der Heimat zu sein, nah an meiner Familie und dann mit dem ThSV Eisenach in der ersten Liga ein bisschen zu rocken.“
Als kleiner Junge „aus einer eher unsportlichen Familie“ kam Heinevetter durch Zufall zum Handball, durch die Schule, wo der Vater eines Mitschülers eine Handball-AG anbieten sollte. „In den ersten Jahren war das einfach nur ein bisschen ab in die Halle, macht irgendwas und dann irgendwann ist Handball draus geworden.“ Schnell erkannte man sein Talent – und obwohl Heinevetter einen Herzfehler hatte, konnte er sich – immer unterstützt von seinen Eltern - den Weg in den Leistungssport ermöglichen.
Und der führte ihn zum 1. SV Concordia Delitzsch, zum damaligen Trainer Uwe Jungandreas. „Silvio hatte von Anfang an außergewöhnliche Fähigkeiten. Er hat anders gehalten als normale Torhüter. Da hat man recht schnell gesehen, dass er ein sehr, sehr guter Torhüter wird. Und als er den Weg nach Magdeburg angetreten hat, war schon abzusehen, dass er sich in Richtung Weltklasse entwickelt“, blickt der Trainer der Saison 2022/23 in der 2. HBL heute auf den Werdegang von Heinevetter zurück.
Dieser galt unter den vielen hervorragenden deutschen Torhütern als das größte Talent, seinen ersten großen Titel feierte er 2004 mit Gold bei der Jugend-EM, zudem stand er im Allstar-Team der EM. Ein Jahr später waren es auch „Heines“ Paraden, die dem 1. SV Concordia Delitzsch den Aufstieg in die 2. Handball-Bundesliga sicherten. Mit dem Gewinn der Meisterschaft in der 2. HBL verabschiedete sich der Torwart und wechselte zum SC Magdeburg. Zwei Jahre bildete er dort mit Johannes Bitter das Torwartduo, als dieser im Jahr 2007 zum HSV Hamburg wechselte, wurde Heinevetter endgültig in Magdeburg zur Nummer eins. „Magdeburg war meine erste Station in der ersten Liga und es war für mich auch ein großer Schritt von Delitzsch wegzugehen. Das war eine prägende Zeit und ich bin dankbar dafür“, sagt Heinevetter heute.
Dann folgte ein im deutschen Handball eher ungewöhnlicher Schritt – der Wechsel vom SCM zum dort nicht sonders beliebten Hauptstadtklub Füchse Berlin: „Die Magdeburger und die Füchse haben ja ein spezielles Verhältnis. Es war auf alle Fälle ein großer Peak, dass die Füchse das gemacht haben. In der Hauptstadt war Heinevetter eine der schillerndsten Figuren. Er hat sehr dafür gesorgt, dass die Füchse in diesen Bereich kommen, wo sie heute sind“, sagt René Witte, Geschäftsführer des ThSV Eisenach. Rund um Heinevetter bauten die Füchse Berlin eine Erfolgsmannschaft auf, mit Dagur Sigurdsson als Trainer, der Heinevetter später auch im deutschen Nationalteam coachte.
Champions-League-Finalturnier 2012, DHB-Pokalsieg 2014, EHF-Pokal-Siege 2015 und 2018, Vereinsweltmeister 2015 und 2016 – mit den Füchsen aus Berlin holte Heinevetter reihenweise Titel. Und bei den Füchsen traf er seinen prägendsten Torwart-Kollegen: Petr Stochl. „Wir haben bestimmt zehn Jahre zusammengespielt, was im Profisport ein Novum ist. Ich kam als junger Wilder nach Berlin, er war der Etablierte. Da gab es ein bisschen Machtkampf, aber das war völlig okay. Im Laufe der Jahre sind wir wirklich gute Freunde geworden und waren ein tadelloses Torwart-Duo“, sagt Heinevetter, der in fast 20 Jahren Profihandball eines gelernt hat: „Du wirst es mit einem Torhüter nicht schaffen, Erfolg zu haben. Du brauchst zwei und dann gibt es meistens auch gute Hierarchien. Man muss sich gegenseitig unterstützen. Am Ende darf man sein Ego nicht über das Ego der Mannschaft stellen. Das ist das Ausschlaggebendste.“
Im Jahr 2020 endet dann die Heinevetter-Ära bei den Füchsen. Kein Abschied mit Blumen oder Reden, was er sowieso nicht gewünscht hatte – und was vor allem wegen der gerade grassierenden Corona-Pandemie nicht möglich war. Nach insgesamt 497 Partien im Füchse-Trikot verabschiedete sich der Verein mit einem Video – mehr war in diesen außergewöhnlichen Zeiten nicht umsetzbar. Als Gesicht und Markenkern der ersten großen Füchse-Ära wechselte Heinevetter zur MT Melsungen ins Hessische. Größter Erfolg war der Einzug ins DHB-Pokalfinale 2021, das die Nordhessen allerdings gegen den TBV Lemgo Lippe verloren. Außerhalb des Handballfelds ist Heinevetter in Kassel weiter als Unternehmer präsent, als Mitbesitzer des Cafés Yannis Deli und des Restaurants Holy Nosh Deli.
Im Alter von 37 Jahren, wenn andere ans Karriereende denken, stellte sich Heinevetter einer neuen Herausforderung, wurde Teil der „Wild Boys“ beim TVB Stuttgart. Bei den Schwaben feierte er zwei Karriere-Meilensteine: Am 8. Oktober 2023 wurde er „Mitglied im Club der 600er“, am 22. Februar 2024 eroberte er Rang drei in der ewigen HBL-Tabelle mit seinem damals 615. Erstliga-Spiel. Lediglich Carsten Lichtlein (712 HBL-Einsätze) und Johannes Bitter (jetzt 657 HBL-Spiele) liegen vor Heinevetter.
Absolviert er bis Saisonende alle Partien mit dem ThSV Eisenach, fehlen ihm nur noch zwei Spiele zu Bitter. Spielt Heinevetter die Saison 2026/27, könnte er zur ewigen Nummer 1 werden und auch Lichtlein überflügeln. Sein aktueller Vertrag beim ThSV läuft bis Sommer 2026. Und hier fühlt sich Heinevetter pudelwohl: „Das der ThSV Eisenach wieder auf der Landkarte im Profisport ist, ist eine geile Geschichte. In Thüringen sind wir das Aushängeschild. Und jeder in Handballdeutschland weiß, dass die Werner-Aßmann-Halle von der Lautstärke her das Nonplusultra ist. Ich will dem ThSV natürlich dabei helfen, sich in der Bundesliga weiter zu etablieren, über die nächsten Jahre hinaus. Und ich glaube, das ist das ganz große Ziel.“
Welcher wichtige Faktor dabei der 40-Jährige ist, wissen alle im Verein: „Uns zeichnet die enge Verzahnung zwischen der Bundesligamannschaft und unserem Nachwuchs aus. Silvio ist da ein Riesenvorbild. Alle schauen auf Silvio. Dank ihm bekommen wir sehr, sehr viele Torhüteranfragen, die gerne zu uns kommen wollen, weil er eben ein großes Vorbild ist. Und Heine ist der letzte, der nicht sein Wissen weitergibt“, sagt Geschäftsführer René Witte.
Und so blieb Heinevetter auch bei diesem Karriereschritt der HBL treu: „Ich hatte ein paar Mal die Chance, ins Ausland zu gehen. Das hätte vielleicht auch so ein bisschen bei der Persönlichkeitsentwicklung geholfen. Aber ich finde, du hast in Deutschland die stärkste Liga der Welt. Warum soll ich nach Spanien, nach Ungarn oder sonst wohin? Es war kein Traum, aber eine Idee, das mal zu machen, aber am Ende gefällt es mir dann doch ganz gut. Wenn man keine Träume und Ziele mehr hat, dann glaube ich, sollte man aufhören.“ Oder um mit René Witte zu sprechen: „Der krönende Abschluss ist der ThSV Eisenach. Er hat jetzt alle großen Vereine hinter sich.“