HBL
NEVER STOP mit Gisli Kristjansson: "Ich will alles dafür tun, dass wir jedes Jahr einen Titel holen"

Foto: Mhoch4
Gisli Kristjansson hat mit nur 25 Jahren mit dem SC Magdeburg alle Titel gewonnen, die es zu gewinnen gibt. Der Isländer hat aber auch schon so manches (Verletzungs-)Tal durchschritten. Die neue Folge von „NEVER STOP – vom ersten Wurf bis zur Weltspitze“ begleitet den SCM-Regisseur auf seinem steilen Weg von Island in die „stärkste Liga der Welt“.
Gisli Kristjansson ist nicht der einzige Star in seiner Familie. Seine Mutter ist die aktuelle isländische Außenministerin Thorgerdur Katrín Gunnarsdottir. Zuvor war die ehemalige Handballerin, die es auch auf ein Länderspiel für Island brachte, Bildungsministerin sowie Ministerin für Fischerei und Landwirtschaft.
Und Kristjanssons Vater, Kristjan Arason, stand viele Jahre mit dem aktuellen Bundestrainer Alfred Gislason auf dem Feld, erzielte in 245 Länderspielen 1123 Tore für Island, wurde deutscher Meister als Spieler des VfL Gummersbach und war später unter anderem Trainer der SG Wallau-Massenheim.
Kein Wunder also, dass der Sohn in die Fußstapfen trat – und wie: Gisli Kristjansson ist einer der Stars im Ensemble des SC Magdeburg, führte den SCM unter heroischen Umständen mit ausgekugelter Schulter als MVP ausgezeichnet 2023 zum Champions-League-Sieg, wurde Vereinsweltmeister, European-League-Sieger, zweifacher deutscher Meister und Pokalsieger mit dem Wiegert-Team – und trotzt vielen schweren Verletzungen in seiner noch jungen Karriere.
„NEVER STOP – vom ersten Wurf bis zur Weltspitze“ beleuchtet den Weg des Rückraumspielers aus Hafnarfjörður in die DAIKIN Handball-Bundesliga, die stärkste Liga der Welt, wo der Blondschopf zum Ausnahmespieler wurde. Zu Wort kommen sein berühmter Vater, seine erfolgreich Fußball spielende Freundin, aber auch viele andere Weggefährten.
Mit sechs Jahren begann Gisli Kristjansson mit dem Handballspielen in Hafnarfjörður – und genau dort sah er sein Vorbild, das seinen Weg von der Wikinger-Insel in die Welt des Handballs prägte: Aron Palmarsson. Denn schließlich nahm er genau die gleiche Route wie sein heutiger Teamkollege aus dem Nationalteam – und trat parallel in die Fußstapfen seines berühmten Vaters.
„Als ich noch klein war und Handball geschaut habe, war das immer die Bundesliga. Jeder hat gesagt: Das ist die Premier League im Handball. Für mich war immer klar: Wenn ich irgendwo spielen will, dann in der HBL. Und wenn du da bist, willst du auch performen und versuchen, Erfolg zu haben“, sagt Kristjansson heute. Wie viele andere sportbegeisterte Isländer stand er als Jugendlicher vor einer wichtigen Entscheidung: wohin führt der Weg, Handball oder Fußball? In beiden Sportarten war er Jugend-Nationalspieler.
Selbst sein Vater Kristjan Arason wusste anfangs nicht, für was sich Gisli entscheiden würde – aber er wusste, dass er einmal ein Großer werden würde: „Wir waren immer bei seinen Spielen und er war schon immer einer der Besten im Fußball und im Handball. Das ist aber irgendwann nicht mehr genug, man muss auch trainieren. Und als er 13 Jahre alt war, hat er sich geändert, auf gesundes Essen geachtet und auch viel trainiert. Und dann habe ich gesagt: Ja, er wird Profi. Aber ich wusste nicht, ob im Fußball oder Handball.“ Für den jungen Gisli war aber klar, dass er seinen Vater immer bei allen Entscheidungen einbeziehen würde: „Er ist eine Legende in Island. Für mich war mein Vater immer so mein großes Vorbild und auch ein Lehrer.“
Im Alter von 18 Jahren fällt Gisli dem ehemaligen Mitspieler seines Vaters auf, Alfred Gislason. Der war damals Trainer des THW Kiel – und hatte einige Jahre zuvor schon Aron Palmarsson als 19-Jährigen an die Förde geholt. „Alfred sah mich spielen und fragte an. Bei einer Anfrage des THW Kiel sagt man natürlich nicht nein, da gibt es keine andere Entscheidung“, sagt Kristjansson, der im Nachhinein zugibt: „Die Entscheidung von Island wegzugehen zu einem der größten Klubs auf der Welt, war die einfachste Entscheidung meines Lebens. Aron ist dort auch aus Hafnarfjörður direkt zum THW gewechselt. Und das war für mich als eine kleiner Junge auch der Traum.“

Gisli Kristjansson mit Förderer Alfred Gislason beim THW Kiel
Gisli Kristjansson war 2018 das „Nesthäkchen“ bei den Zebras, dennoch fand er sich schnell zurecht: „Ich war alleine in Deutschland und das war natürlich alles sehr neu für mich: Die Sprache zu lernen und mich an die Kultur zu gewöhnen. Das sind ganz viele Sachen, die ich gelernt habe in dem ersten Jahr. Und das bedeutet mir sehr viel und ich sehe den THW seitdem als sehr große Schule für mich.“
Komplett wurde das Glück, als seine Freundin Rannveig Bjarnadottir nach Kiel zog – eine Fußballerin.
Doch dann begann eine schmerzhafte Zeit: Bei der WM 2019 und dann erneut in einem Bundesligaspiel gegen die Rhein-Neckar Löwen im November 2019 zog sich Gisli Kristjansson zwei schwere Schulterverletzungen zu. 2020 wechselte der heute 25-Jährige als großes Talent vom THW Kiel zum SC Magdeburg. Dort entwickelte sich der Isländer innerhalb kurzer Zeit zu einem der besten und gefragtesten Spielmacher der Welt.
Aber auch im Bördeland war der Anfang schmerzhaft: „In meinem ersten Spiel für den SCM gegen die SG Flensburg-Handewitt habe ich mir meine Schulter ausgekugelt und sie haben mich so aufgenommen, als wäre ich sofort einer von ihnen. Benno Wiegert und der SCM-Präsident haben mir sofort gesagt: Hey, mach dir keine Sorgen, wir kriegen das alles hin. Wir stehen zu 100 % hinter dir und das wird alles gut. Das bleibt immer bei mir im Herzen. Und das werde ich nie vergessen.“
Kristjansson zahlte alles zurück, mit überragenden Leistungen. „Als wir die Chance hatten, Gisli zu verpflichten, war ich Feuer und Flamme dafür, weil ich gemerkt habe, welches Potenzial, welche Entwicklungsmöglichkeiten noch in ihm stecken. Auch trotz all den Verletzungen, die er davor hatte, habe ich immer irgendwas gesehen, was uns auch besser machen könnte und was vor allen Dingen zum SC Magdeburg passt“, sagt Trainer Bennet Wiegert: „Gisli ist einer der besten Eins-gegen-Eins-Spieler der Welt. Und wer unseren Spielstil kennt, weiß: Eins-gegen-Eins ist das Nonplusultra.“
Wie kaum ein anderer steht Gisli Kristjansson für diesen Spielstil, mit dem der SCM zum Titelhamster wurde. Schnell, immer mit dem Zug zum Tor, Durchbrüche mit viel Power und Geschwindigkeit. Er passte genau ins Magdeburger Puzzle, wurde aber auch von seinem Trainer genau für seinen Job aufgebaut: „Benno hat natürlich eine sehr große Rolle für mich gespielt in Magdeburg, für meine Entwicklung und wie ich als Handballer geworden bin. Mir dieses Vertrauen zu geben, werde ich immer unglaublich stark schätzen. Und wenn Rückschläge kommen in meiner Karriere, dann ist immer mein Gedanke, dass ich nicht aufgebe, ich komme wieder.“
Kraft schöpft er aus seiner Familie und seinem Willen: „Ich kann eigentlich nicht beschreiben, wie viel meine Familie mich unterstützt hat - meine Eltern, meine Freundin.“ Für Rannveig Bjarnadottir ist dies eine Selbstverständlichkeit: „Ich unterstütze Gisli natürlich gerne. Ich bin von Island hierhergezogen, und ich wollte versuchen im Ausland zu leben. Es war wunderbar.“ Dazu kommt auch, dass in Omar Ingi Magnusson ein weiterer Isländer im Kader des SCM spielt: „Es ist einfach sehr cool, einen isländischen Freund zu haben, der immer neben dir steht. Er ist gleichzeitig immer ein Teil von dem Erfolg, den ich hier hatte“, sagt Kristjansson. Und auch Magnusson betont, dass sie auf einer Wellenlänge liegen: „Was ich an Gisli gut finde, ist dass ich sehr ehrlich mit ihm reden kann. Ich kann ihm deutlich sagen, was nicht gut und was gut ist und er wird das akzeptieren. Das ist eine Riesenstärke.“

Kristjansson mit seiner Freundin Rannveig Bjarnadottir
Auch wenn Verletzungen weiter Kristjanssons Karriere begleiten, glaubt Bennet Wiegert nicht, dass sein Star schon am Ende der Fahnenstange angelangt ist: „Ich kann sein Limit noch nicht sehen. Und das ist ein gutes Zeichen. Ich hoffe, dass er uns noch ein paar Jahre erhalten bleibt und auch zu Erfolgen seinen wichtigen Anteil beitragen wird.“
Kristjansson jedenfalls fühlt sich sehr wohl in seiner neuen Heimat: „Der SCM bedeutet mir sehr viel. Die Stadt brennt für den Klub. Was ich aber am meisten schätze, ist die Mentalität.“ Und trotz aller Trophäen ist er lange noch nicht satt: „Seit dem Pokalsieg gibt es keinen Titel im SCM-Trikot, den ich jetzt noch nicht gewonnen habe. Das war ein richtig schöner Moment, denn jetzt sind einfach alle Träume erfüllt. Wenn ich mit Handball aufhöre, will ich, dass ich nichts bereue, dass es keine Saison gibt, wo ich sage: Da hätte ich ein bisschen mehr machen können. Ich will alles dafür tun, dass wir jedes Jahr einen Titel holen und da ist jetzt noch alles drin.“