HBL
ÜberZahl – Die Zahlenkolumne: Die wahre Königsposition

Seit Jahrzehnten gilt die alte Handballweisheit von der „Königsposition“ Rückraum Links. In der neuen Ausgabe von „ÜberZahl“ analysiert Datenanalyst Julian Rux, ob es sich dabei um einen Mythos handelt oder ob die linken Rückraumspieler wirklich die Könige des Handballs sind.
Der Blick auf die ewige Feldtorschützenliste der DAIKIN HBL überrascht mit dem Gedanken an die Königsposition „Rückraum Links“ direkt. Denn unter den fünf besten Feldtorschützen ist kein einziger Rückraumlinker, dafür mit Holger Glandorf, Kyung-Shin Yoon, Volker Zerbe und Kai Häfner vier rechte Rückraumspieler.
Erst auf Rang 16 folgt mit Arne Niemeyer der erste Spieler von der angeblichen „Königsposition“ (und allgemein der erste rechtshändige Rückraumspieler, eine Trennung zwischen Rückraum Links und Mitte ist meist nicht einfach). Einen Platz dahinter befindet sich noch Domagoj Duvnjak, der allerdings lediglich noch ein Tor benötigt, um mit Niemeyer gleichzuziehen.

Auch die aktuelle Torschützenliste liefert ein ähnliches Bild. Auf Rang eins bis drei sind mit Mathias Gidsel (51 Tore), Ivan Martinovic (50) und Renas Uscins (49) drei Rückraumrechte, wobei Martinovic 21 und Uscins zwei Tore per Siebenmeter erzielt hat. Aber auch die Feldtorschützenliste wird von Gidsel (51 Feldtore) und Uscins (47) angeführt.
Insgesamt 20,7 % aller Feldtore wurden in der aktuellen Saison von Spielern erzielt, denen in der Datenbank der DAIKIN HBL die Position „Rückraum Rechts“ zugeordnet wird. „Rückraum Links“ folgt mit 19,7 % auf dem zweiten Rang. Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass wie zuvor bereits angesprochen besonders eine Kategorisierung der Position einiger Spieler in „Rückraum Links“ oder „Rückraum Mitte“ nur sehr schwer möglich ist und einige Spieler eigentlich mehreren Positionen zugeordnet werden müssten.
Auch die Werte pro Spiel sehen nicht besser aus für den linken Rückraum. Für die aktuelle Saison macht diese Betrachtung noch keinen Unterschied zur normalen Torschützenliste. Bei der ewigen Torschützenliste pro Spiel müssen nicht einmal Siebenmeter ausgeklammert werden und sie zeichnet ein sogar noch düstereres Bild für alle Rechtshänder: die ersten sechs Spieler sind hier ausschließlich rechte Rückraumspieler.

Bei den Feldtoren sieht es für die Rückraum-Rechtshänder zumindest ein wenig besser aus. Hier liegt Ludvig Hallbäck, der Neuzugang von FRISCH AUF! Göppingen, mit 5,3 pro Spiel nach Gidsel, Madsen, Yoon und Stoecklin auf dem fünften Rang. Wobei sich bei dieser Darstellung natürlich auch die Frage nach einer Mindestanzahl an Spielen stellt, da Hallbäck erst fünf Mal in der stärksten Liga der Welt aufgelaufen ist. Ihm folgt jedoch direkt Felix Claar mit 5,2 Toren in 34 Spielen sowie Nikola Karabatic mit 5,1 Toren in 122 Spielen.
Wenig Argumente also dafür Rückraum Links als Königsposition zu bezeichnen. Ist also Rückraum Rechts eigentlich die wahre Königsposition?
Der wichtigste Spieler?
Um zu klären, was die Königsposition ist, muss natürlich erst einmal definiert werden, was hierunter verstanden wird. Neben der reinen Anzahl an Toren könnte auch die für die Mannschaft wichtigste Position im Angriff gemeint sein, also der Spieler, der am meisten Verantwortung für den Abschluss im Angriff übernimmt.
Eine Kennzahl, die dies abbildet, ist die „Offensive Responsibility“ oder „Offensive Verantwortung“. Diese setzt die Feldwürfe, Ballverluste und herausgeholten Siebenmeter eines Spielers in Relation zu allen Feldwürfen, Ballverlusten und herausgeholten Siebenmetern aller Spiele seines Teams bei denen der Spieler im Kader stand.
Wenig verwunderlich sind es auch hier wieder die rechten Rückraumspieler, die die Rangliste anführen. Die Top vier besteht mit Renars Uscins, Emil Madsen und Mathias Gidsel aus drei Linkshändern, lediglich Lasse Andersson kann auf Platz zwei in die Phalanx der Linkshänder eindringen.

Ob Andersson hier noch lange vor seinem Teamkollegen Gidsel bleiben wird, ist allerdings fraglich, denn seit er in der stärksten Liga der Welt spielt war Gidsel hier immer vor seinem Rückraumpartner. 2023/24 führte er die Liga mit 26,9 % an. 2022/23 war er mit 19,7 % hinter Jacob Lassen (20,2 %), einem weiteren rechten Rückraumspieler, auf Rang zwei.
Bei der Betrachtung aller Spieler ist der Anteil hingegen erstmals bei den linken Rückraumspielern am höchsten. Für 23,3 % aller letzten Aktionen ihrer Teams in der aktuellen Saison sind Spieler, denen in der Datenbank der DAIKIN HBL die Position Rückraum Links zugeordnet wurden, verantwortlich. Rückraum Rechts folgt mit 21,9 % nach Rückraum Mitte (22,0 %) sogar erst auf Rang drei.
Weitere Unterschiede in den Details
Auch die Effizienz spricht nicht für die Rechtshänder im Rückraum. Denn Spieler denen der rechte Rückraum als Position zugeordnet wurde, kommen gemeinsam auf eine Feldwurfquote von 59,6 %, was zwar schlechter ist als die restlichen Positionen, aber eben besser als Rückraum Mitte (58,7 %) und Rückraum Links (54,3 %).
Bei den Einzelspielern lässt sich hierbei natürlich durch die Mindestanzahl an Würfen tricksen. Bei mindestens zehn Feldwürfen liegt unter allen Rückraumspielern mit Lasse Møller (82,7 %) sogar ein linker Rückraumspieler auf dem ersten Platz. Ihm folgen jedoch mit Mathias Gidsel, Christoph Steinert (80,0 %), Dainis Kristopans (76,5 %) und Malte Donker (70,6 %) gleich vier rechte Rückraumspieler. Wird die Grenze auf mindestens 25 Feldwürfe gesetzt, liegen Gidsel und Kristopans auf den ersten beiden Plätzen, vor dem ersten Rechtshänder Leif Tissier (69,2 %).
All dies deutet darauf hin, dass die Spielauffassung beziehungsweise der Spielstil der beiden Positionen unterschiedlich ist. Die Vermutung, dass der linke Rückraum als Königsposition gilt, weil die Spieler generell Wurffreudiger sind, bestätigen die Zahlen jedoch ebenfalls nicht. Pro abgegebenem Feldwurf spielt ein linker Rückraumspieler 17,0 Pässe, ein rechter 16,9. In der vergangenen Saison war es minimal andersherum. Es lässt sich also nicht generell sagen, dass Spieler der einen oder anderen Position schneller den Abschluss suchen.
Ein Blick auf die Top-Werte liefert aber auch hier wieder interessante Einblicke. Denn unter allen Rückraumspielern mit mindestens fünf Feldwürfen sind die Top sieben allesamt linke Rückraumspieler oder Spieler, (Simon Pytlick und Philipp Weber) deren Position zwar offiziell Rückraum Mitte geführt wird, die aber genauso gut als Rückraumlinke bezeichnet werden können.
Bei der durchschnittlichen Wurfposition (ohne Siebenmeter, direkte Freiwürfe, Erste-Welle-Würfe und Würfe auf das leere Tor) haben Rückraumlinke in der aktuellen Saison mit durchschnittlich 7,72 Meter eine etwas höhere Wurfdistanz als rechte Rückraumspieler (7,60 m). In der vergangenen Saison war dies noch etwas deutlicher mit 7,80 m gegenüber 7,36 m. Sie sind also eher klassische Distanzschützen.
Doch eine ganz andere Königsposition?
Bei der Frage nach der Wichtigkeit für die Mannschaft wurde bisher nur auf den Angriff geblickt. Das ist zum einen wenig verwunderlich, da der Großteil der Daten, die erfasst werden, um den Angriff handeln. Auf der Einzel-Feldspieler-Ebene werden für die Defensive lediglich Blocks und Steals erfasst, die im Gegensatz zu den Daten für die Offensive keine genaue Analyse erlauben, da sie nicht umfassend genug die Verteidigungsarbeit abbilden.
Eine Ausnahme davon sind jedoch die Torhüter. Denn wie an dieser Stelle bereits betrachtet wurde, ist der Einfluss der Torhüter enorm. Gewinnen sie das Torhüter-Duell verliert auch ihr Team zu über 85 Prozent nicht. Je größer der Unterschied in der Torhüter-Leistung, desto wahrscheinlicher wird der Sieg. Einen solch großen Einfluss hat keine andere Position. Vielleicht sollten also weder der linke, noch der rechte Rückraum als Königsposition bezeichnet werden, sondern viel mehr der Torhüter.
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