HBL
ÜberZahl – Die Zahlenkolumne: Expected Goals zeigen, warum Eisenach immer wieder überrascht

In der vergangenen Saison startete der ThSV Eisenach als klarer Abstiegskandidat, ließ am Ende jedoch gleich vier Teams hinter sich. Momentan stehen sogar acht Teams hinter den Thüringern. In der neuen Ausgabe von „ÜberZahl“ analysiert Datenanalyst Julian Rux mit Hilfe der im Handball neuen Expected Goals, was bei den Eisenachern besonders gut läuft.
Bei einem genauen Blick auf die Zahlen wird schnell klar, woher der Eisenacher Erfolg kommt. Es ist nicht die oft hervorgehobene innovative Defensive, die durch ihre oft wechselnden offensiven Formationen die Gegner vor immer wieder neue Aufgaben stellen soll. Denn mit 28,3 Gegentoren pro 50 Ballbesitze stellte Eisenach in der vergangenen Saison die drittschwächste Defensive. In der aktuellen Saison reicht es mit 27,4 immerhin für Rang elf - stattdessen ist es der Angriff.
Dort sind die Zahlen des Teams von Misha Kaufmann tatsächlich besser. Mit 27,1 erzielten Toren pro 50 Ballbesitzen hatte es vergangene Saison den elft besten Angriff, in der aktuellen Saison steht es mit 28,2 sogar auf Platz sieben. Das schafft der ThSV durch innovative Ansätze des Trainers, der sein Team oft statt mit richtigem Kreisläufer, mit vier Rückraumspielern spielen lässt, wodurch große Räume für Isolationen entstehen.
Dort sind die Zahlen des Teams von Misha Kaufmann tatsächlich besser. Mit 27,1 erzielten Toren pro 50 Ballbesitzen hatte es vergangene Saison den elft besten Angriff, in der aktuellen Saison steht es mit 28,2 sogar auf Platz sieben. Das schafft der ThSV durch innovative Ansätze des Trainers, der sein Team oft statt mit richtigem Kreisläufer, mit vier Rückraumspielern spielen lässt, wodurch große Räume für Isolationen entstehen.

Diese Statistiken, die um die Anzahl der gespielten Ballbesitze bereinigt sind, sind wesentlich aussagekräftiger als die reine Anzahl der Gegentore, da sie die Mannschaften tatsächlich vergleichbar machen. Denn die reine Anzahl der Tore wird nicht nur von der Wurfeffizienz, sondern auch von der Anzahl der Ballbesitze beeinflusst (ob eine Mannschaft und ihr Gegner eher schnell oder langsam spielen). Da ein Spiel im Durchschnitt etwa 50 Ballbesitze hat (54,0 in dieser Saison), werden die Werte hier auf der Grundlage von 50 Ballbesitzen berechnet, so dass sie in etwa die Werte eines Spiels widerspiegeln.
Expected Goals
Der Hauptgrund für die guten Offensivwerte ist jeweils die Wurfquote. Dort haben die Eisenacher in der aktuellen Saison sogar die fünftbeste Quote mit 65,2 Prozent, eine Steigerung um fast zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr (63,6 %).
Kaufmanns Team schafft es überdurchschnittlich oft, in gute Wurfpositionen zu kommen. So sind sie in der aktuellen Saison das Team mit den drittmeisten Siebenmetern (4,3 pro 50 Ballbesitze) und werfen durchschnittlich aus einer Distanz von 6,3 Metern aufs Tor, der zweitniedrigste Wert der Liga (ohne 7m, direkte Freiwürfe, erste Welle und Würfe auf das leere Tor). Noch besser kann die Wurfqualität jedoch mithilfe anderer Daten analysiert werden, nämlich Expected Goals.
Expected Goals (xG) sind hauptsächlich aus dem Fußball bekannt, wo sie mittlerweile auch regelmäßig bei den TV-Übertragungen eingeblendet werden. In einem einzelnen Spiel sind xG die aufsummierten Trefferwahrscheinlichkeiten aller Schüsse. Dabei wurden tausende bisherige Schüsse in ein mathematisches Modell summiert, dass dann anhand von verschiedener, zum Zeitpunkt des Schusses bekannter Variablen, wie die Position des Schusses, des Torhüters und der Gegenspieler, der Schussart etc. die Torwahrscheinlichkeit berechnet. Wobei die Variablen abhängig vom jeweiligen Anbieter sind, weshalb sich auch die xG-Werte bei jedem Anbieter unterscheiden.
xG geben also die Wahrscheinlichkeit an, dass von einem durchschnittlichen Spieler der jeweilige Schuss verwandelt wird. Für ein einzelnes Spiel sind xG entsprechend eine gewichtete Torschussstatistik, die so natürlich deutlich aussagekräftiger ist als die reine Anzahl der Schüsse, da beispielsweise ein Schuss aus 40 Metern (xG-Wert von etwa 0,01) deutlich weniger gefährlich ist, als ein Schuss aus zehn Metern (etwa 0,31 xG).
Im Fußball spielt aufgrund der wenigen Tore im Vergleich zu anderen Sportarten der Zufall eine deutlich größere Rolle. Nicht selten schafft es die eigentlich schlechtere Mannschaft ein Spiel zu gewinnen. xG sind da ein guter Indikator, um zu sehen, wer das eigentlich bessere Team war. Studien haben auch schon mehrfach gezeigt, dass die Bewertung von Teams anhand ihrer Ergebnisse nach xG deutlich aussagekräftiger ist, als nach den tatsächlichen Ergebnissen.
Expected Goals im Handball
Im Handball ist das natürlich ein bisschen anders. Durch deutlich mehr Tore und Würfe spielt der Zufall eine bedeutend geringere Rolle. Der rohe xG Wert ist also weniger aussagekräftig. Doch trotzdem lassen die xG Werte auch im Handball zahlreiche interessante Analysen zu. Beispielsweise kann über den durchschnittlichen xG Wert aller Würfe die Qualität der Würfe bewertet werden. Also ob es eine Mannschaft oder ein Spieler schafft gute Würfe herauszuspielen oder eher viele schwierige Abschlüsse nimmt. Genauso kann betrachtet werden, ob ein Team oder Spieler die genommenen Würfe besser oder schlechter verwandelt, als es ein durchschnittlicher Spieler schafft.
Während die ersten Vorläufer von xG im Fußball Ende der Neunziger entstanden sind, hat es im Handball bis 2017 gedauert, als das erste, methodisch sehr einfache, Modell vom italienischen Handballtrainer Sergio Palazzi unter dem Namen „SPAM“ veröffentlicht wurde. Seither haben mehrere Trainer und Analysten Arbeiten zu ihren xG Modellen veröffentlicht, unter anderem auch Wissenschaftler der Universität Bielefeld um den Analysten des TBV Lemgo Lippe, Alexander David.
Das im folgenden genutzte Modell baut auf den Positionsdaten von Kinexon auf, sowie zusätzlichen Informationen aus den Liveticker-Daten. Im Detail sind es die auf Zentimeter genaue Distanz des Wurfes zur Mitte des Tores, der Winkel zu den beiden Pfosten, die Position des Torhüters, die Wurfhand sowie die Wurfart (Siebenmeter, Gegenstoß, Außen-Wurf oder sonstige) die Einfluss auf den hier genutzten xG Wert haben. Insgesamt flossen über 94.000 Würfe aus der vergangenen Saison sowie einzelnen kompletten Spielen der Saisons seit 2019/20 in das Modell ein.
Eisenach findet gute Abschlusspositionen
Tatsächlich bestätigen die Expected Goals Daten beim ThSV Eisenach, dass er im Vergleich zum Rest der Liga aus deutlich besseren Positionen abschließt. Die Shot Quality, also der durchschnittliche Expected Goals Wert pro Wurf, ist mit 65,4 Prozent die zweithöchste der Liga. Lediglich der SC Magdeburg, der in den letzten Jahren mehrfach Rekorde für den besten Angriff aller Zeiten aufstellte, kommt auf einen noch höheren Wert (66,1 %).

Bei Abschlüssen aus dem Feld lässt sich vereinfacht zusammenfassen, dass je kürzer die Distanz zum Tor ist und je zentraler der Wurf, die Wahrscheinlichkeit auf einen Treffer immer größer wird. Dazu sind Siebenmeter sehr wertvoll, denn der Siebenmeter xG Wert von 0,756 (also 75,6 % der Siebenmeter werden durchschnittlich verwandelt) ist überdurchschnittlich für einen Torwurf. Das ist ein weiterer Vorteil, für Teams die aus kurzer Distanz abschließen, da die Chance einen Siebenmeter zu erhalten höher ist.
Problematisch ist hingegen, dass die Eisenacher lediglich 62,8 Prozent ihrer Siebenmeter verwandeln. Nur die MT Melsungen kommt auf einen noch geringeren Wert (58,3 %). Von ihren vielen Siebenmetern können sie also noch nicht profitieren. Aus dem Feld kommt der ThSV allerdings auf eine Shot Quality von 64,3 Prozent, der ebenfalls zweitbesten hinter dem SCM (64,8 %). Werden Erste-Welle-Gegenstöße und Würfe auf das leere Tor nicht berücksichtigt, nimmt sogar kein Team so qualitativ hochwertige Würfe wie Eisenach (63,0 %).
Den Qualitätsunterschied zum SCM sieht man jedoch in den Abschlüssen selbst. Magdeburg erzielt 7,1 Prozent mehr Tore, als es ein durchschnittliches Team bei den gleichen Abschlüssen schaffen würde. Nur die Füchse Berlin sind mit 13,3 Prozent noch besser. Eisenach liegt hier mit -0,3 Prozent (10.) minimal unter den Erwartungen. Allgemein ist die Effizienz auch mit der Tabellenposition des jeweiligen Teams in Verbindung zu setzen - bessere Teams haben meist einen positiven Wert und Teams vom Tabellenende meist einen negativen Wert. Diese Mannschaften nehmen nicht unbedingt schlechtere Würfe, haben aber eine deutlich niedrigere Effizienz.

Hauptproblem für Eisenach bei den Abschlüssen sind dabei die bereits angesprochenen Siebenmeter. Aus dem Feld erzielen die Eisenacher hingegen 1,8 Prozent mehr Tore als erwartet (9.), ohne Gegenstöße sind es sogar 2,8 Prozent mehr (7.).
Zu viele gute Würfe für die Gegner
In der Verteidigung sind ihre Expected Goals-Werte hingegen deutlich schwächer. Die Shot Quality ihrer Gegner beträgt durchschnittlich 63,9 Prozent, der sechsthöchste Wert. Tatsächlich treffen ihre Gegner zudem 1,6 Prozent öfter als erwartet, was Rang elf bedeutet.

Auch das Filtern nach Feldwürfen mit und ohne Gegenstöße bringt nur minimal andere Ergebnisse. Hier gehen Misha Kaufmanns Ansätze also deutlich weniger auf als im Angriff und die oft offensiv agierende Abwehr lässt viele Würfe aus guten Positionen zu.

Expected Goals liefern aber natürlich noch deutlich mehr Möglichkeiten. Auch Einzelspieler können auf die gleiche Weise bewertet werden, allerdings nur im Angriff, da Informationen darüber, welche Verteidiger auf dem Feld stehen, fehlen. Die einzige Ausnahme ist der Torhüter. Seine Leistung kann mit der Hilfe von Expected Goals sogar noch besser bewertet werden, da berücksichtigt werden kann, ob er eher schweren oder einfacheren Abschlüssen gegenüberstand. Dies wird in einer der nächsten Kolumnen genauer betrachtet werden.
Dazu muss angemerkt werden, dass das hier genutzte Modell noch nicht perfekt ist, da beispielsweise die Position der Gegenspieler bis auf den Torhüter nicht berücksichtigt werden kann, da die Daten unvollständig sind. Der Fußball hat allerdings bereits gezeigt, wie wichtig und aussagekräftig Expected Goals für die Analyse sind und dass bereits Modelle, die nicht komplett umfassend sind, große Verbesserungen in der Analyse bringen. Auch der Handball ist mittlerweile dabei, dies zu nutzen und zu einer immer effizienteren Sportart zu werden.
Mehr von Datenanalyst Julian Rux findet ihr auf Handballytics.de. Dort gibt seine neusten Artikel, in denen er aus neuen, datenbasierten Blickwinkeln alle möglichen Themen rund um den Handball analysiert. Ihr findet ihn auch auf Instagram, Facebook, X/Twitter, Threads und bei den WhatsApp-Kanälen.