HBL
ÜberZahl – Die Zahlenkolumne: Die wirklich besten Torhüter der DAIKIN HBL

Die Torhüterposition im Handball ist entscheidend für den Erfolg eines Teams. Kein anderer Spieler hat einen vergleichbaren Einfluss auf das Ergebnis eines Spiels. In der neuen Ausgabe von „ÜberZahl“ analysiert Datenanalyst Julian Rux deshalb die Schlussmänner der stärksten Liga der Welt durch Anpassungen der Paradenquote, die die Bewertung von Torhüterleistungen noch aussagekräftiger machen.
Traditionell gibt es zwei Wege, um den besten Torhüter der Liga zu bestimmen. Die Anzahl der Paraden oder die Paradenquote. Bei ersterem liegt gerade Andreas Wolff mit 10,5 pro Spiel auf Rang eins, bei letzterem ist es – je nachdem welche Mindestanzahl an Würfen aufs Tor genommen wird – entweder Nikola Portner (36,9 % bei 8,7 Würfen pro Spiel auf sein Tor) oder Constantin Möstl (33,7 % bei 24,5 Würfen).
Beide Herangehensweisen haben aber deutliche Schwächen. Die reine Anzahl der Paraden hängt zum Beispiel nur zu einem Teil damit zusammen, wie gut der Torhüter ist, sondern liegt auch zu einem großen Teil an der Einsatzzeit. So können in der Rangliste nach Paraden beispielsweise auch Torhüter, die viel Einsatzzeit bekommen und eine deutlich schwächere Paradenquote haben, also im Verhältnis weniger Bälle abwehren, vorne mit dabei sein. Dejan Milosavljev hat beispielsweise die viertmeisten Paraden pro Spiel (8,9), hat aber auch die drittmeisten Einsatzminuten unter allen Torhütern (42,8 min. pro Spiel) und kommt bei der Paradenquote deshalb lediglich auf den zehnten Platz (30,5 %).
Dieses Problem hat die Paradenquote entsprechend nicht, doch auch sie ist bei weitem nicht fehlerfrei. Ihr Hauptproblem – das natürlich auch auf die Anzahl der Paraden zutrifft - ist, dass viel damit zusammenhängt welche Art von Würfen die Vordermannschaft zulässt. Torhüter bei Teams, die viele Siebenmeter, Gegenstöße oder Durchbrüche zulassen, haben es deutlich schwerer auf eine ähnliche Paradenquote zu kommen, wie die deren Abwehr viele Distanzwürfe erzwingen.
So mussten beispielsweise die Torhüter von FRISCH AUF! Göppingen in der aktuellen Spielzeit bisher mehr als doppelt so vielen Siebenmeter gegenüberstehen (83) als die Schlussmänner des HC Erlangen (41). Oder die Torhüter der SG BBM Bietigheim bekamen mehr als das Doppelte an Würfen aus Erste-Welle-Gegenstößen auf ihr Tor (99) als die des SC Magdeburg (48). Es ist also auch nicht aussagekräftig genug, die Torhüter nur anhand der Paradenquote zu bewerten, da die Voraussetzungen zu unterschiedlich und vom Torhüter nicht beeinflussbar sind.
Expected Saves
Eine Möglichkeit diese Unterschiede, also die Schwierigkeiten der Paraden, zu berücksichtigen, basiert auf den Expected Goals. Bei Expected Goals wird aufgrund statistischer Modelle und zahlreicher Faktoren die Wahrscheinlichkeit berechnet, ob ein Tor erzielt wird. Faktoren sind die auf den Zentimeter genaue Position des Wurfes, des Winkels, der Wurfart und der Zeitpunkt des Wurfes. Mit diesen Daten kann dasselbe auch für Paraden, also Expected Saves, gemacht werden.
Alle Würfe, die nicht auf das Tor kommen, werden dabei – wie bei der Paradenquote – ausgeschlossen, da sie nicht abgewehrt werden müssen. Expected Goals berechnet die Torwahrscheinlichkeit im Moment des Wurfes und beinhaltet deshalb keine Informationen nach dem Wurf, da analysiert werden soll, was der Angreifer aus seinen Möglichkeiten herausholt. Bei den Expected Saves werden auch beispielsweise die Härte des Wurfes und die Wurfrichtung des Balles berücksichtigt. Denn für die Analyse der Torhüterleistung sind dies durchaus relevante Faktoren. Da diese Daten leider für die DAIKIN HBL noch nicht flächendeckend vorliegen, konnten sie in den folgenden Daten auch noch nicht berücksichtigt werden.
Vergleicht man also die erwarteten Paraden mit den tatsächlichen, dann liegt unter allen 38 Torhütern, die in der laufenden Spielzeit mindestens 100 Würfen aufs Tor gegenüberstanden, Nikola Portner mit 32,3 Prozent mehr parierten Würfen als erwartet, wie bei der Paradenquote auf dem ersten Platz. Die Unterschiede zum Ranking nach der Paradenquote sind natürlich nicht groß, doch liefern einige interessante Details. Benjamin Buric liegt nach der Paradenquote beispielsweise mit 32,2 Prozent auf Platz sechs, bekommt jedoch auch die zweitwenigsten gefährlichen Würfe auf sein Tor, weshalb es nur noch Rang zehn beim Vergleich der tatsächlichen mit den erwarteten Paraden bedeutet.

Ein gegenteiliges Beispiel ist Fredrik Genz. Der Torhüter der SG BBM Bietigheim liegt bei der Paradenquote mit 23,5 Prozent auf Rang 33. Er steht jedoch so schwierigen Würfen gegenüber wie kein anderer Torhüter der DAIKIN HBL. Zwar liegt er mit 7,1 Prozent weniger gehaltenen Bällen als erwartet auch etwas unter dem Durchschnitt, doch verbessert sich damit deutlich im Ranking auf Platz 26.
Angepasste Paradenquote
Dieser Vergleich ist also deutlich aussagekräftiger, als die traditionellen Wege Torhüter zu bewerten. Doch trotzdem gibt es noch eine große Schwachstelle: Nicht alle Torhüter bekommen die gleichen Würfe auf ihr Tor und Torhüter können verschiedene Stärken haben.
Kevin Møller und Sergey Hernandez kommen beispielsweise sowohl auf sehr ähnliche Paradenquoten (31,8 % und 31,6 %) als auch auf ein sehr ähnliches Verhältnis der Paraden zu den erwarteten Paraden (+10,1 % und +10,4 %). In den Details unterscheiden sie sich aber deutlich. So ist beispielsweise bei Würfen aus dem Positionsangriff aus weniger als 6,5 Metern (ohne Würfe von den Außen) Hernandez mit 11,5 Prozent mehr Paraden als erwartet deutlich vor Kevin Möller, der bei -6,2 Prozent liegt. Der Däne ist hingegen bei Würfen aus mehr als 8,5 Metern deutlich besser, dort pariert er 10,7 Prozent mehr als erwartet, während Hernandez hier auf -0,4 Prozent kommt.
Um deshalb komplett fair die eigentlichen Torhüterfähigkeiten zu vergleichen, muss also auch noch nach der Wurfpositionen bzw. Arten standardisiert werden. Es wird also praktisch simuliert, dass alle hinter der gleichen Verteidigung gestanden wären. Hierzu wurden alle Würfe in die folgenden sieben Kategorien eingeteilt: Siebenmeter, direkte Freiwürfe, Gegenstöße, sowie aus dem Positionsangriff Würfe von den Außen, aus weniger als 6,5 Metern, aus 6,5 bis 8,5 Metern und aus mehr als 8,5 Metern. Würfe auf das vermeintlich leere Tor, die doch noch vom Torhüter pariert wurden, wurden nicht berücksichtigt, da sie weniger mit den eigentlichen Torhüterfähigkeiten, als mit der Fähigkeit des Teams zu Wechseln und der Schnelligkeit zu tun haben.
Anschließend wurde geschaut, wie oft aus diesen Positionen in der DAIKIN HBL seit der Saison 2023/24 durchschnittlich pro Spiel geworfen wurde. Diese Gewichtungen wurden jeweils mit den Verhältnissen der tatsächlichen Paraden zu den erwarteten multipliziert und das Ergebnis jeder der sieben Kategorien addiert. Somit erhält man ein auf die Wurfarten und Positionen standardisiertes Verhältnis von Paraden und erwarteten Paraden.
Dieses Ergebnis wäre für sich bereits aussagekräftig, eine leichter zu interpretierbare Kennzahl ergibt sich jedoch bei der Multiplikation mit 28,1 Prozent, der durchschnittlichen Paradenquote. Denn dann ähnelt sie der normalen Paradenquote, man erhält also eine angepasste Paradenquote.
Nach der angepassten Paradenquote verändert sich das Ranking der Torhüter etwas deutlicher. Auf Platz eins steht jetzt Andreas Wolff. Er hätte also im Prinzip in der aktuellen Saison, wenn alle Torhüter die gleichen Würfe auf ihr Tor bekommen hätten, mit 36,1 Prozent die meisten gehaltenen Bälle.

Im Vergleich zu Wolffs Paradenquote ist das eine Verbesserung um 2,4 Prozentpunkte. Der THW Kiel könnte also noch mehr davon profitieren, wenn sie mehr Würfe zu Wolffs Stärken zulassen. Nur Dario Quenstedt (3,1 Prozentpunkte) und Frederik Genz (2,7 Prozentpunkte) kommen auf noch größere Verbesserungen.
Auf die größte Verschlechterung kommt Constantin Möstl mit -3,5 Prozentpunkten im Vergleich zur Paradenquote. Bei letzterer liegt er noch auf dem zweiten Rang, bei der angepassten Paradenquote ist es nur noch Platz zehn. Die Defensive des TBV Lemgo Lippe lässt also schon die optimalen Würfe für ihren Torhüter zu.
Auf die beste Leistung in einem Spiel (mindestens 20 Würfe) kommt ebenfalls Andreas Wolff. Die deutsche Nummer eins kam beim Sieg des THW in Magdeburg auf eine angepasste Paradenquote von herausragenden 60,3 Prozent. Dies stellt seine überragende Leistung noch einmal besser dar, als seine normale Paradenquote von 37,8 Prozent, die nur Rang 31 bei der besten Paradenquote in einem Spiel bedeutet. Denn die angepasste Paradenquote berücksichtigt die zahlreichen entschärften Großchancen der Magdeburger.

Nicht perfekt, aber besser
Die angepasste Paradenquote ist natürlich bei weitem nicht perfekt und das kann und soll sie auch noch gar nicht sein. Dazu sind die Daten im Handball noch nicht detailliert genug und es gibt unter anderem die bereits erwähnten Schwachstellen. Auch das zugrunde liegende Expected Goals-Modell hat noch Verbesserungspotential. Beispielsweise die Berücksichtigung der direkten Gegenspieler, beziehungsweise wie der Werfer von der Verteidigung unter Druck gesetzt wird, fehlt noch.
Eine weitere Verbesserungsmöglichkeit ist die Anpassung der Paradenwahrscheinlichkeiten an die Qualität des jeweiligen Werfers. Mathias Gidsel erzielt beispielsweise aktuell 18,4 Prozent mehr Tore als erwartet, was zeigt, dass er ein herausragender Spieler ist. Torhüter von schlechteren Vereinen bekommen jedoch auch mehr Würfe von besseren Spielern auf ihr Tor. Bei Expected Goals wird dies nicht berücksichtigt, da die Metrik Spieler mit dem Durchschnitt vergleichen soll. Für die Torhüterbewertung wäre dies jedoch eine weitere Verbesserung, besonders bei der Betrachtung von einzelnen Spielen.
Da auf Team-Ebene die Netto-Paradenquote, die nur Paraden berücksichtigt, die auch zu Ballgewinn führen, die Metrik ist, die am stärksten mit dem Gewinn von Spielen korreliert, wurde auch überlegt dies in der angepassten Paradenquote zu berücksichtigen. Doch sowohl die Auswertung des Anteils an Paraden, die zu Ballbesitz führen, an allen Paraden der einzelnen Torhüter, als auch das Empfinden einiger Bundesligatorhüter, haben dafür gesprochen, dass dies nicht steuerbar ist und zu einem großen Teil auch nicht nur am Torhüter liegt, sondern an der ganzen Verteidigung. Deshalb wurde jede Parade gleich gewertet, ob sie zu Ballbesitz führt oder nicht.
Insgesamt ist die angepasste Paradenquote also ein großer Schritt in die richtige Richtung. Denn sie bietet die beste Möglichkeit Torhüterleistungen quantitativ zu bewerten und ist aussagekräftiger und detaillierter als alle bisher existierenden ähnlichen Metriken.
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